„Sie bedankt sich jeden Abend bei mir und wünscht mir einen schönen Feierabend“

Von Donnerstag bis Sonntag lebe ich wieder bei meiner Mutter und pflege sie. Ich kümmere mich um sie, so wie sie mich jahrelang groß gezogen hat. Der einzige Unterschied: ich bin 55 und meine Mutter ist 93 Jahr alt. So fahre ich also jeden Donnerstag mit der Bahn von Frankfurt nach Celle. Dort übernachte ich in der oberen Etage meines Elternhauses. Die untere Etage bewohnt meine Mutter.

Im Februar 2018 erlitt meine Mutter einen Beckenrandbruch und war drei Wochen auf der Demenzstation. Dort war sie in einem Dreibettzimmer mit zwei schwerst dementen Mitpatientinnen untergebracht. Eine Dame im Bett links, die Zweite im Bett rechts und meine Mutter direkt in der Mitte. Eine Verlegung war angeblich nicht möglich. Diese Zeit traumatisierte sie dermaßen, dass sie selbst meinen älteren Bruder und mich anschließend kaum erkannt hatte und nicht mehr wusste, wo sie wohnt. Durch sehr viel Liebe und intensives Coaching gelang es mir, sie weitestgehend wieder zu stabilisieren. Nach dem Krankenhausaufenthalt erhielt sie dann den Pflegegrad 3. Zum Glück ist sie nur durch ihr Alter eingeschränkt und hat keine weiteren schwereren Erkrankungen, wofür ich sehr dankbar bin. Es ist nur eine altersangemessene Demenz des Vergessens zurückgeblieben, sowie eine eingeschränkte Motorik, sodass sie auch Zuhause auf ihren Leichtlaufrollator angewiesen ist.

Als meine Schwägerin meine Mutter vom Krankenhaus aus in der Kurzzeitpflege unterbringen lassen wollte, da sie mit dem Thema Pflege weiter nichts zu tun haben wollte, wurde mir klar, dass mir die Grundlagen der heutigen Pflege fehlten und ich auch keine Ansprechpartner hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich selbst von Frankfurt aus einbringen könnte. Dennoch organisierte ich durch etliche kräftezehrende Telefonate erst einmal ein Pflegebett. Die Dame vom MDK war sehr kompetent und hilfsbereit. Sie machte mich auf die Tagespflege aufmerksam und ich meldete meine Mutter zum Probetag an. Hier durfte ich sie auch begleiten und war positiv überrascht. Wir beide haben den Tag sehr genossen und er dient mir jede Woche erneut als Gesprächsgrundlage.

Die Pflege meiner Mutter teile ich mir mit meinem Bruder, einem ambulanten Pflegedienst und einer Tagespflegeeinrichtung. Zudem unterstützt mich mein sehr guter Freund Dirk. Er hatte vorher schon seinen Vater liebevoll bis zum Lebensende gepflegt und seine Mutter betreut. Der ambulante Pflegedienst kommt jeden Morgen, um meiner Mutter beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe behilflich zu sein. Zudem geht sie montags und mittwochs in eine Tagespflegeeinrichtung und ist dadurch auch an diesen Tagen gut versorgt. Mein älterer Bruder schaut des Weiteren jeden morgen, bevor er auf die Arbeit fährt und abends, nachdem er zurückkommt, kurz bei unserer Mutter vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Für mich sieht die Pflege allerdings anders aus. Wenn ich bei meiner Mutter bin, dann begleite ich sie den ganzen Tag, vom Aufstehen bis hin zum Schlafen legen. Ich bin in jeder Situation für sie da und das für 24 Stunden. Das ist mir nur möglich, weil ich mich dazu entschlossen habe, meinen Beruf aufzugeben und mehr für mich und vor allem meine Mutter zu sorgen. Da ich selbst schwer behindert bin und es mir in den letzten Jahren zunehmend schlechter ging, habe ich mich zu diesem Schritt entschieden. Zu meiner Schwerbehinderung zählen ein seit fast 50 Jahren bestehender Diabetes mellitus Typ 1 und seit etwa zwei Jahren Arthrose an beiden Knien. Im letzten Jahr bin ich erblindet: Blind ist man mit einer Sehkraft von maximal 5%. Bis dahin hatte ich auf beiden Augen eine hochgradige Myopie: rechts bereits 5%, links noch 40% Sehkraft.

Auszeiten nehme ich mir kaum, beziehungsweise brauche ich sie nicht. Ich bin so dankbar für die Zeit, die wir noch zusammen haben, und coache mich selbst, wenn ich meine Mutter coache.
Als ich noch berufstätig war, war ich als freie Lehrbeauftragte und im Coaching tätig. So freue ich mich, dass ich meine Berufe weiterhin indirekt ausüben darf: zum Beispiel, indem ich meine Mutter in Ruhe ihre Medikation für die Woche zusammenstellen lasse. Hierbei bespreche ich mit ihr in immer selbiger Reihenfolge die Namen und Wirkung ihrer Tabletten.

Pflege bedeutet für mich, rund um die Uhr für die Pflege meiner Mutter da zu sein. Ich gebe mir, so gut es geht Mühe, sie in das Alltagsgeschehen einzubinden und zu coachen, wo immer dies möglich ist. Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit ihr beizustehen so gut ich kann. Sie selbst hat ihre Eltern auch bis zum Tode gepflegt und war mir damit ein Vorbild. Meine Mutter ist immer liebevoll und sehr dankbar, und daraus resultieren auch meine schönsten Momente: Wenn sie sich abends beim Eincremen und zu Bett gehen, glückselig bedankt und mir manchmal auch einen schönen Feierabend wünscht.

Eure Heike

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